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„Das Gesundheitswesen in Deutschland steht vor grundlegenden Veränderungen“: Susanne Prietz über Personalmangel und Zukunftsaussichten

Das Gesundheitswesen in Deutschland steckt schon seit Jahren in der Krise. In sämtlichen Fachbereichen fehlen Fachkräfte und Auszubildende und diejenigen, die in der Branche arbeiten, wandern immer häufiger nach wenigen Jahren ab. Viele Faktoren tragen dazu bei, dass sich die Unternehmen in einer schwierigen Situation befinden. Nicht nur Kliniken stehen vor der Herausforderung, Personal zu gewinnen und zu halten. Susanne Prietz ist selbst Leiterin eines interdisziplinären Therapiezentrums und ordnet für uns die aktuelle Situation ein.

Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden zur unüberwindbaren Hürde

Die Krise im Gesundheitswesen nimmt besorgniserregende Ausmaße an. Christel Bienstein, Vorsitzende des Berufsverbands für Pflegeberufe, erklärt: „Wenn wir nicht schnell grundlegende Reformen bekommen, kann man die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht mehr aufrechterhalten.“ Bundesweit fehlen mittlerweile mehr als 200.000 Vollzeitkräfte in der Pflege. Auch Gesundheitsexpertin Susanne Prietz sieht dieses Problem: „Die aktuelle Situation ist nicht nur in der Pflege mehr als angespannt. Kliniken und außerklinische Arbeitgeber suchen händeringend nach Pflegekräften. Das Angebot entspricht schon seit langem nicht mehr der Nachfrage.“

Einen Grund für die Problematik sieht sie in den steigenden Anforderungen an Unternehmen und Beschäftigte. Die moderne Digitalisierung hat vor allem in größeren Unternehmen zu digitalem Chaos geführt. Unternehmen müssen heute mehr Aufgaben unter einen Hut bringen – ohne aber das entsprechende Personal dafür zur Verfügung zu haben. „Die Anforderungen verändern sich schnell, sodass den Unternehmen wenig Zeit bleiben, sich anzupassen. Der Arbeitsaufwand für alle Beschäftigten wächst und damit die Belastung im Arbeitsalltag. Dabei handelt es sich um einen Teufelskreis, den Arbeitgeber so schnell wie möglich durchbrechen müssen“, so Prietz.

Die Personalgewinnung muss sich an die Bewerber anpassen

Grit Genster, Bereichsleiterin Gesundheitspolitik beim Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di, sieht einen Zusammenhang zu den Arbeitsbedingungen: „Wer über Fachkräftemangel redet, darf zu den Arbeitsbedingungen nicht schweigen.“ Denn zahlreiche Beschäftigte verlassen Unternehmen aufgrund von Überlastung, Burnout oder weil sie ihren Beruf nicht mehr vollständig ausüben können. „Das gilt übrigens nicht nur für Krankenhäuser“, erklärt Susanne Prietz. Sie selbst hat ein großes Therapiezentrum für unterschiedliche Fachbereiche gegründet und leitet dieses bis heute. „Die Belastung ist groß und die Work-Life-Balance leidet massiv darunter.“

Es gibt verschiedene Ansätze, um Bewerber bei der Stange zu halten und sie für das Unternehmen zu begeistern. Die DRK Kliniken in Berlin haben beispielsweise eine neue Abteilung ins Leben gerufen und beschäftigen eine Recruiterin, die bei allen Bewerbungsprozessen dabei ist und versucht, so viele Interessierte wie möglich im Unternehmen unterzubringen. Die Recruiterin Maja Schäfer erläutert zum Bewerbungsprozess: „Natürlich führen die Fachabteilungen die Vorstellungsgespräche dann selbst und treffen letztlich die Entscheidungen. Aber ich bin bei allem hinterher und schaue: ‚Bei wem hakt es, wen können wir vielleicht noch woanders im Unternehmen platzieren?‘ Ich behalte den Überblick […].“

Ein persönlicher Kontakt sowie ein auf die Bewerber abgestimmter Prozess helfen dabei, Menschen für den Arbeitgeber zu begeistern. Das weiß auch Susanne Prietz: „Wir müssen unseren Bewerbern auf Augenhöhe begegnen. Sie müssen sich bereits im Bewerbungsprozess gesehen fühlen. Am Ende des Tages sind Unternehmen schließlich genauso auf ihre Beschäftigten angewiesen wie umgekehrt. Umso wichtiger ist es, dass die neuen Fachkräfte sich im Unternehmen wohlfühlen.“

Attraktivität des Berufs geht Hand in Hand mit Entlastung der Arbeitnehmer

Der Wohlfühlfaktor bestimmt den Erfolg von Arbeitgebern maßgeblich mit. Ein familiäres Arbeitsumfeld mit einem persönlichen Kontakt unter den Kollegen ist wichtig. „Je größer ein Unternehmen ist, desto wichtiger ist es, allen Mitarbeitern gerecht zu werden. Das fängt bei der Personaleinsatzplanung an und geht bis hin zu Freizeitangeboten für die Beschäftigten“, so Susanne Prietz. Sie selbst beschäftigt neben Therapeutinnen und Therapeuten auch Kaufleute für Büromanagement und kaufmännische Angestellte in ihrem Therapiezentrum. „Das sorgt dafür, dass niemand Arbeiten übernehmen muss, für die er nicht ausgebildet ist.“

Experten sind sich einig: Neben dem finanziellen Ausgleich für die Arbeit muss es weitere Anreize für Beschäftigte im Gesundheitswesen geben. „Wer nachts oder am Wochenende arbeitet, erhält natürlich einen Nacht- oder Wochenendzuschlag. Das ist aber nur der erste Schritt. Die Entlastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss weiter gehen“, so Susanne Prietz. Das sieht auch Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach so. In einer Rede im Deutschen Bundestag sagte er 2022: „Diese Entlastung kann zum Beispiel darin bestehen, dass mehr freie Tage eingeführt werden, dass Schichten abgebaut werden, dass mehr Urlaub gewährt wird, oder in einer besseren Vergütung.“ Im Notfall würde er sogar bestimmte Leistungen wie aufschiebbare Operationen streichen, um die Pflegekräfte im klinischen Bereich zu entlasten.

Zu einer gesunden Work-Life-Balance tragen außerdem weitere Dinge bei. „Wir sprechen hier natürlich nicht vom Kickertisch oder Obstkorb. Aber ein Sportangebot für die Beschäftigten hilft dabei, nach der Arbeit einen Ausgleich zu finden. Auch Therapieangebote für Mitarbeiter können hilfreich sein, um wieder Freude am Job zu erleben“, erklärt Susanne Prietz. „Je umfangreicher das Angebot, desto eher bleiben Beschäftigte gern im Unternehmen, weil sie sich gesehen fühlen.“

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