Das Siegel „Made in Germany“ stand bisweilen für Top-Qualität. Doch aktuell wendet sich das Blatt. Deutsche Unternehmen laufen Gefahr, ihre weltweite Qualitätsführerschaft zu verlieren. Wer Qualität jetzt zur Chefsache und zum Leistungsindikator erklärt, kann drohendes Unheil abwenden und sogar große schlummernde Potenziale heben.
Ein Gastbeitrag von Diplom-Betriebswirt Michael Flunkert, Geschäftsführer von Babtec. Das Unternehmen aus Wuppertal entwickelt und bietet umfassende Softwarelösungen für Qualitätsmanagement an.
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Trotz Krisenmodus: strategische Aspekte sollten nicht vernachlässigt werden
Corona-Krise, Klimawandel, Kriege, Deglobalisierung, Inflation, Supply-Chain-Störungen, Risiken in der Energieversorgung, Lieferkettengesetz: Die deutsche Industrie ist hoch leistungsfähig und robust. Doch angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen geraten selbst solide aufgestellte Unternehmen an ihre Grenzen. Ständig gilt es, auf neue Ausnahmesituationen zu reagieren. Ist ein Feuer gelöscht, entsteht oft umgehend der nächste Brand.
In solchen Zeiten spielt das Können des Unternehmers eine besonders wichtige Rolle. Anstatt sich nur reaktiv auf neue Situationen einzustellen, befassen sich gute Firmenchefs gerade jetzt mit strategischen Gesichtspunkten. Beispielsweise ist es dringend geboten, die derzeitige Lieferkettenstrategie zu bewerten, um Risiken zu reduzieren. Denn die bisherigen Konzepte haben sich als zu fragil erwiesen.
Besonders effektiv ist es jedoch, sich als Unternehmer um die hausgemachten Schwierigkeiten zu kümmern. An dieser Stelle rückt die größte Stärke der deutschen Wirtschaft in den Fokus: das Qualitätsversprechen, das wir Kunden auf der ganzen Welt geben und immer wieder aufs Neue erfüllen. Es ist gleichzusetzen mit Präzision, Leistungsstärke, Innovation und einem Streben nach Perfektion, wodurch Vertrauen entsteht. Daher sollte Qualität ein zentraler Baustein der Unternehmensstrategie sein. Dies zu verankern, um Wettbewerbsvorteile zu sichern, liegt in der Verantwortung der Geschäftsführung.
Qualität: mehr als eine Pflichtübung
Aktuell erfüllen viele Unternehmen hohe Qualitätsansprüche. Qualität zu liefern, wird vielerorts sogar als Pflicht betrachtet. Entsprechend sind Unternehmen bestrebt, Fehler zu minimieren und die Produktqualität ständig zu überprüfen. Möglich wird dies durch ein gutes Qualitätsmanagement mit softwaregestützten Prozessen – häufig nachgewiesen durch einschlägige Zertifizierungen. Doch wird dieser klassische Ansatz noch den aktuellen und zukünftigen Ansprüchen an die Unternehmensführung gerecht? In den meisten Fällen leider nicht.
Der unternehmerische Anspruch an Qualität sollte heute über den Pflichtgedanken hinausgehen. Wie dies aussehen kann, beweisen Entrepreneure. Mit Kreativität erkennen sie Marktchancen und richten ihr Unternehmen von Beginn an auf Qualität aus – stets mit Blick auf die Kundenbedürfnisse. Ziel ist es dabei nicht nur, Erwartungen zu erfüllen, sondern diese zu übertreffen und neue Bedarfe zu generieren. Erfolgreiche Entrepreneure suchen Alleinstellungsmerkmale. Sie erreichen dabei eine Qualitätssteigerung und einen Wissensvorsprung. Dies wiederum bereitet den Weg für Innovationen. Ein Anspruch dieser Art ist in der heutigen Industrie eher selten zu finden.
Dabei besagt sogar die ISO 9001, dass Qualität nicht nur die Erfüllung einer Pflicht, sondern der Wille einer guten Unternehmensleitung ist. Die Norm macht Qualität also zur Chefsache. Und dies zurecht, da das Qualitätsergebnis ohnehin durch die Geschäftsleitung zu verantworten ist. Ebenso ist die Leitung in der Lage, jeden Mitarbeiter zur Sicherstellung und Steigerung der Qualität in die Verantwortung zu nehmen. Das Ziel sollte es hierbei sein, Qualität als Grundgedanken in alle Prozesse zu implementieren. Selbstredend erfolgt dies heute digital gestützt durch geeignete Software.
Nachhaltigkeit als Teil des Qualitätsgedankens
Ein Blick auf das Organigramm vieler Unternehmen zeigt: Qualität ist in einem Fachbereich namens Qualitätsmanagement angesiedelt. Dieser Fachbereich ist entweder eine Abteilung oder eine Stabsstelle der Geschäftsleitung. Qualität wird in der Regel also delegiert, was aber im Grunde gar nicht möglich ist. Denn Qualitätspolitik wird stets von der obersten Leitung verantwortet. Sie beschreibt die Ausrichtung einer gesamten Organisation auf Qualität und ist Bestandteil des Leitbilds. Die ISO 9001 fordert das Top-Management sogar dazu auf, dies schriftlich zu definieren.
Einmal abgesehen von dieser normativen Pflicht stellt sich die Frage, ob in der Unternehmensführung ein Wille zur Qualität besteht. Denn die Erlangung von Zertifikaten durch die schriftliche Beschreibung der Qualitätspolitik ist das eine, Qualität als strategischen Erfolgsfaktor zu sehen, das andere. Wer diesen Weg einschlagen möchte, begrenzt den Qualitätsbegriff nicht länger auf das Produkt. Er weitet ihn aus auf Prozesse und Führung – stets mit besonderem Fokus auf Nachhaltigkeit.
Letzteres bezieht sich nicht nur auf das eigene Unternehmen, sondern auch auf die gesamte Lieferkette. Immerhin nimmt Qualität direkten Einfluss auf die Lebensdauer und Umweltverträglichkeit von Produkten. Sustainability ist also zum bedeutsamen Teil des Qualitätsgedankens geworden, was sich in der gesamten Organisation widerspiegeln sollte.
QM braucht mehr Nähe zum Management
Unser Wirtschaftssystem hat sich zu einem Wertesystem entwickelt. Mehr als je zuvor streben wir nach dem Sinn unseres Handelns. Dieses neue Mindset definiert die Anforderungen an eine moderne Unternehmensleitung und ein zeitgemäßes Qualitätsmanagement. Für die Praxis bedeutet dies, dass Qualitätsmanager deutlich näher an die obere Leitung rücken müssen, um ein gemeinsames Team zu bilden. Nur mit solch einem Team kann der Qualitätsgedanke auf die gesamte Organisation übertragen werden. Und nur so lässt sich das Qualitätsmanagement zu einem führenden Baustein des integrierten Managementsystems aufwerten.
Qualität muss Chefsache werden
Bisweilen gelingt es der deutschen Industrie beim Thema Qualität nicht, über den Tellerrand zu blicken. Nach wie vor dominiert ein klassisch produktorientiertes Qualitätsverständnis. Das ungenutzte Potenzial ist also enorm. Es zu erschließen, ist nicht die Aufgabe eines Qualitätsmanagers, sondern die der Unternehmensleitung. Der „Qualitätsreifegrad“ von Top-Managern bemisst sich nicht nach einer guten, normgerechten Formulierung. Vielmehr zählt, wie die Qualitätspolitik in konkreten Aufgaben und Aktionen umgesetzt wird.
Eine moderne, qualitätsorientierte Unternehmensführung zeichnet sich durch mehrere Eigenschaften aus. Zunächst stellt sie Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt und hat dabei Service Excellence fest im Blick. Sie setzt ihren hohen Qualitätsanspruch auch in der Lieferkette um, indem sie eine partnerschaftliche, offene und transparente Zusammenarbeit anstrebt – stets mit dem Ziel, Synergien zu nutzen, die Qualität des Endprodukts zu optimieren und nachhaltig zu agieren.
Weiterhin sorgt qualitätsorientierte Unternehmensführung für eine positive Fehlerkultur, die von einem offenen Umgang mit Problemen geprägt ist. Dieser Ansatz führt zu echten Qualitätsgewinnen, zu einem Wissensvorsprung und zu mehr Innovationskraft. Nicht zuletzt umfasst das neue Qualitätsverständnis die unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft, die Umwelt, den europäischen Standort und alle Stakeholder.
Kurz: Die deutsche Wirtschaft muss beim Thema Qualität Veränderungen zulassen und initiieren. Der Wandel hin zu einer modernen, zukunftsfähigen Unternehmensführung duldet keinen Aufschub. Er ist Grundvoraussetzung, um Unternehmen stark für die Zukunft zu machen. Dies gilt in der aktuell schwierigen Situation umso mehr.