Es kann sehr teuer sein, allein die ganzen Vorgaben von DGUV und Berufsgenossenschaft bei sich im Unternehmen umzusetzen. Betrachtet man jedoch die beiden Komplexe Arbeitssicherheit und Betriebsunfälle allein aus einer streng wirtschaftsmathematischen Sichtweise heraus, wird schnell klar, was teurer und was günstiger wird.
Inhaltsverzeichnis
Kostenfaktor 1: Der Un- und Ausfall an sich
Im Jahr 2022 gab es in Deutschland insgesamt 787.412 meldepflichtige Arbeitsunfälle. Hinzu kamen noch 173.288 Wegeunfälle, auf die wir im weiteren Verlauf jedoch nicht näher eingehen, da sie üblicherweise jenseits der Beeinflussbarkeit des Arbeitgebers liegen. Insgesamt belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Arbeitsunfällen auf zirka 90 Milliarden Euro an Lohnkosten und 155 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfungsausfall.
Allerdings sind solche Zahlen sehr abstrakt. Daher an dieser Stelle eine simple Kostenrechnung für den einzelnen Betriebsunfall. Gehen wir davon aus, ein Produktionsmitarbeiter rutscht aus und bricht sich den Unterschenkel. Damit ist er im besten Fall erst in sechs Wochen wieder voll belastungsfähig:
- Monatsverdienst: 4.000 Euro brutto.
- Lohnnebenkostenfaktor bei kleinem Unternehmen <30 Arbeitnehmer: 1,7 (zirka).
- 000 * 1,7 = 6.800 Euro monatliche Kosten.
- 800 * 1,5 Monate = 10.200 Euro.
Und das sind allein die Arbeitgeberkosten für diesen verunfallten Mitarbeiter – über die vollen sechs Wochen in Form der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber zu bezahlen. In der Realität kommen noch Zusatzkosten durch das Kompensieren der verlorenen Arbeitsleistung hinzu und damit verbundene Mindereinnahmen.
Solche Unfälle aus dem Bereich Stolpern-Rutschen-Stürzen sind die häufigsten Einzelursachen im Arbeitsunfallgeschehen. Viele davon, darunter der Unfall im Beispiel, wären durch Sicherheitsschuhe vermeidbar gewesen. Diese sind sowieso je nach Gefährdungsbeurteilung Pflicht und müssen in diesem Fall vom Arbeitgeber gestellt werden – für einen Bruchteil allein der Arbeitgeberkosten dieses Unfalles hätte der Mitarbeiter also die besten, kostspieligsten Sicherheitsschuhe am Markt erhalten können.
Zumal hier noch nicht das preisliche Ende erreicht ist: Wären in diesem Beispiel Sicherheitsschuhe qua Gefährdungsbeurteilung Vorschrift gewesen (was anzunehmen ist, da es sich um einen Produktionsmitarbeiter handelt), dann könnte nicht nur die Berufsgenossenschaft den Arbeitgeber in Regress nehmen, sondern Bußgelder bis 10.000 Euro verhängen – je nach Grad von Verstoß und Fahrlässigkeit kämen sogar noch strafrechtliche Belange hinzu.
Unterm Strich: Selbst, wenn man nur die Kosten des Ausfalls sowie die damit verbundenen möglichen Strafen betrachtet, dann ist ein Arbeitsunfall, egal wie gering er sein mag, in den allermeisten Fällen wesentlich teurer als die Schutzmaßnahmen, die ihn vermeiden können.
Kostenfaktor 2: Der Mitarbeiter
Im vorherigen Beispiel gingen wir davon aus, der Mitarbeiter habe sich zwar beträchtlich verletzt, aber sei nach etwa sechs Wochen wieder vollständig genesen und leistungsfähig zurückgekehrt. Tatsächlich allerdings ist ein solcher Ausgang bei einer ganzen Reihe von Arbeitsunfällen nur ein mögliches von mehreren Szenarien:
- Die Verletzung resultiert in Folgeschäden, durch die der Mitarbeiter in den kommenden Jahren immer wieder krankheitsbedingt ausfällt.
- Die Schäden sind schwerwiegend genug, um den Mitarbeiter dauerhaft von der Ausübung seines Berufs abzuhalten. Er fällt daher gänzlich aus oder kann nur noch andere Aufgaben übernehmen – etwa lediglich noch sitzende Tätigkeiten.
- Der Mitarbeiter wird zwar körperlich wieder völlig fit, trägt jedoch zeitweilig oder dauerhaft ein psychologisches Trauma davon. Eines, wodurch er nicht mehr so leistungsfähig ist wie zuvor.
- Da der Mitarbeiter (egal ob zu Recht oder zu Unrecht) seinem Arbeitgeber eine (mit-) Schuld an dem Unfall gibt, kommt es zu einer Situation, in der er „innerlich kündigt“ (sehr komplex und schwierig zu erkennen) oder das früher oder später sogar in die Tat umsetzt.
All das kann einzeln oder in Kombination auftreten. Beispielsweise wird selbst ein vollständig genesener Mitarbeiter künftig wahrscheinlich in Situationen, die derjenigen unmittelbar vor seinem Unfall ähnelten, ungleich vorsichtiger sein. Dadurch reduziert sich beispielsweise sein Tempo oder er wird unkonzentrierter für den eigentlichen Job. Betrachtet man, wie aufwendig und kostspielig – und heutzutage oft fruchtlos – das Recruiting neuer Fachkräfte sein kann, zieht ein einzelner Arbeitsunfall viel teurere Kreise.
Kostenfaktor 3: Die Belegschaft
Nicht jeder Arbeitsunfall bleibt eine Angelegenheit ausschließlich zwischen dem direkten Betroffenen und seinem Arbeitgeber. Je nach Konstellation spielt hier ebenfalls ein mehr oder weniger großer Teil der Belegschaft eine gewisse Rolle, die den Arbeitgeber teuer zu stehen kommen kann. Einmal abgesehen von Fällen, in denen mehrere Personen sich gleichsam verletzen, sind das beispielsweise die folgenden Möglichkeiten:
- Der oder die Ersthelfer bzw. beim Unfall Anwesenden werden durch das Gesehene traumatisiert und fallen womöglich aus.
- Je nach Unfallursache kommt es zu Unmut und vielleicht Widerstand im Team, weil nach dessen Ansicht der Arbeitgeber nicht genug getan hat, um den Unfall zu verhindern.
Es könnte, je nachdem, wie sich der Verunfallte später verhält, zu Solidaritätshandlungen kommen. Etwa, wenn er kündigt, weil er sich hier nicht mehr sicher genug fühlt oder annimmt, sein Unfall habe keine hinreichenden Verbesserungen angeschoben.
Kostenfaktor 4: Die Nachbesserungen
Viele Arbeitsunfälle sind der Nachweis dafür, dass bisherige Konzepte nicht ausreichend waren, weil sie nicht sämtliche Risiken abdeckten. Die Aufarbeitung des Unfalls kann daher verschiedene Maßnahmen beinhalten. Sie sollen ähnliche Vorkommnisse in Zukunft vermeiden helfen.
Die Schwierigkeit hieran: Ein jedes Unternehmen ist eine recht gut eingespielte Maschine. Sämtliche Änderungen können deshalb eine gewisse Zeit schlechterer Leistungen hervorrufen, bis sie ebenfalls Routine geworden sind. Je nach Schwere des Unfalls und Umfang der danach nötigen Maßnahmen kann das einen ähnlichen Impakt wie eine tiefgreifende Betriebsumgestaltung haben – mit entsprechenden, an diesem Punkt kaum noch bezifferbaren Kosten.
Kostenfaktor 5: Die Öffentlichkeit und die Kunden
Eines vorweg: Normalerweise bleiben die allermeisten Betriebsunfälle Interna, von denen höchstens Angehörige der Mitarbeiter und der Betroffenen erfahren – ohne weitere Folgen für das Unternehmen. Allerdings muss zumindest der Vollständigkeit halber noch ein weiterer möglicher Kostenfaktor genannt werden.
- Sehr schwere, ungewöhnliche Unfälle.
- Unfälle, die Personen außerhalb des Unternehmens betreffen.
- Vorfälle, die nach Ansicht der Öffentlichkeit „ungeschickt“ durch den Arbeitgeber gehandhabt werden.
Die Geschichte des Unternehmertums ist voller Arbeitsunfälle, die sehr breite negative Reaktionen hervorriefen. Teils schaltete sich die Politik ein, teils gab es „Shitstorms“, teils aber wurde der Druck der Öffentlichkeit derart überwältigend, bis die Lage tatsächlich geschäftsschädigend wurde oder sogar in einer Insolvenz mündete; etwa aufgrund von Boykotten.
Fazit: Arbeitsschutz ist teuer – Arbeitsunfälle sind fast immer teurer
Zwischen einer Gefährdungsbeurteilung und der Umsetzung aller für das Unternehmen gültigen Vorgaben kann Arbeitssicherheit sehr teuer sein. In vielen Firmen herrscht deshalb in der Führungsetage kein Verständnis dafür vor, auch nur einen Deut mehr zu tun als die Vorgaben verlangen.
Tatsächlich steckt jedoch in jedem Arbeitsunfall das Potenzial, das Unternehmen ein Vielfaches dieser Summen zu kosten – nicht nur pro Mitarbeiter, sondern insgesamt betrachtet. Selbst, wenn der Arbeitgeber die vollen Haftungskosten nur sehr selten tragen muss, kann allein schon der wenige Tage lange Ausfall eines Mitarbeiters hohe Folgekosten auftürmen. Sicherheit ist deshalb niemals eine überflüssige Investition. Insbesondere, wenn es zu keinem Unfall kommt, zeigt sich, wie wichtig solche Ausgaben sind – gerade dann, wenn sie über die Mindestvorgaben hinausgehende Leistungen ermöglichen.